Grauweißer Schnee
Eine Kurzgeschichte von mir. Ihr könnt ja euren Lehrern vorschlagen, sie mal zu interpretieren...

Grauweißer Schnee

Die grauen Wolken zogen schleppend langsam über den bläulich schimmernden Himmel. Sie Nachmittagssonne schien müde in die Staub- und Rauchwolken über den Fabrikhallen der Stadt und warf gespenstige Schatten hinter die herunter gekommenen Schornsteine, die einen nie abreißenden Strom von schwarzen Schwaden in die vor Kälte flimmernde Luft pafften.
Ein Mann stand auf der Brücke, die sich grazil über den schmutzigen Fluss erstreckte. Sie war, wie fast alles in der Stadt, grau und mit einer Fingerdicken Staubschicht überzogen. Der ehemals weiße Schnee war eine willkommene Abwechslung gewesen. Jetzt war er genauso grau wie alles andere. Der Mann sah hinab auf den Strom. Auf seinem Gesicht spiegelte sich die gedrückte Stimmung, die von der Szenerie ausging wieder, gemischt mit Angst und Trauer. Er spuckte in das trübe Wasser. Sein klarer, fast weißer, Speichel trieb schaukelnd durch kleine Stromschnellen, bis er außer Sichtweite war. Plötzlich drehte sich der Mann um. Er hatte Schritte gehört. Schritte, die ihm bedrohlich bekannt vorkamen. Er musste gegen die goldgelbe glühende Sonne blicken, weshalb er nicht sofort erkannte, wer einige Meter vor ihm stand. Aber als der Mann, der vor ihm stand, die Hände in den Hosentaschen, zu sprechen begann, erkannte der andere Mann ihn. „El, schön dich zu sehen.“ – „Ben!“ keuchte der Mann von der Brücke. Ben lächelte boshaft. Seine schlechten Zähne blitzten im Sonnenlicht. El schlug die Augen nieder. Sie brannten schmerzhaft, da er zu lange in die Sonne gesehen hatte. Er zitterte, als er wieder hochblickte. „Schön, dich zu sehen, EL!“ wiederholte Ben mit einem drohenden Unterton. Als Ben Els Namen nannte, zuckte dieser willkürlich zusammen und nahm eine Abwehrhaltung ein. „Komm’ zu mir!“ befahl Ben. El machte erschrocken ein paar Schritte zurück. Unter ihm war nun kein grauer Fluss mehr, nur noch grauweißer Schnee. „Das nützt dir nichts!“ rief Ben, stürzte auf ihn zu, packte ihn an der Schulter und drückte in gegen die rostige Brüstung der Brücke. Der rote Rost hob sich kräftig vom sonnst so gleichmäßigen Untergrund ab. „Du wirst doch nicht… Bitte! Nein!“ flehend sah El Benin die Augen. Das erste mal, seit Ben auf der Brücke aufgetaucht war. „DOCH!“ erwiderte Ben. Seine Stimme war auf einmal kalt wie der sibirische Winter. El lief ein Schauer über den Rücken und seine Nackenhaare stellten sich auf. Ben drückte ein bisschen stärker, so dass sich Els Schwerpunkt über das Geländer verlagerte. „Nein! Bitte!“ flüsterte El verzweifelt. Aber sein Gegenspieler Ben schüttelte den Kopf. Seine Augen blitzten kalt und bösartig, als er El losließ.


Die blutrote Abendsonne färbte den grauweißen Schnee rötlich, genauso wie das warme Rinnsal, das eine rote Spur hinterließ. Rund um Els Kopf war der Schnee rot verfärbt, seine Augen starrten glasig in die Rauchschwaden der Stadt. Ben lachte.


(c) by Mina-o